Bericht 4

 

 

22.11.2006

 

In der siebenundvierzigsten Ausgabe der Elbmarsch-Post im Jahre 2006 erscheint der „4.Werkstattbericht“ über die Arbeit am Ölhof-Projekt.

 

 

Wie der „Sommer“ nach Bleckede kam

 

Werkstattbericht „Ölhof 4“

 

Bleckede. Die Werkstattberichte geben chronologisch geordnet Einblicke in die aktuellen Forschungen von Henning Bendler und Team zum Marinenachschublager Bleckede (Ölhof). Liegt die 1917-19 erbaute Anlage zwischen den Weltkriegen so friedlich in der Landschaft, wie es 1923 beim „Sonntagsspaziergang zum Ölhof“ (3. Werkstattbericht) den Anschein hat?
 

Friedlich aber nicht still

 

In Bleckede selber sieht man zunächst wirklich nicht viel – obwohl der spätere Ölhof nie ganz verwaist war. Bereits 1920 ist als eine Art Hausmeister, Bauaufseher Gustaf Anders im Einwohnerbuch gemeldet und für mindestens die nächsten 19 Jahre ist er im Ölhof tätig. Seine Adresse ist 1920 die „Waldhalle“, die Durchwahl ist die 33. Die „Waldhalle“ diente schon 1917 als Baubüro für den Ölhof.

 

Endlich Öl in Bleckede?

 

1928 kommen Gerüchte auf: Öl soll eingelagert werden. Der Landrat in Bleckede, Otto von der Schulenburg, wird als verantwortungsvoller Beamter aufmerksam und wendet sich mit den aufkommenden Fragen an die übergeordneten Stellen. Wem untersteht eigentlich die Anlage hier bei uns? Wurde da nicht unter damaligem Kriegsrecht gebaut und fehlt nicht die Erlaubnis der jetzigen Zivilbehörde? Bedarf es nicht einer Prüfung durch Sachverständige und eine Genehmigung und Einordnung in eine Gefahrenklasse, wenn hier jetzt Mineralöl eingelagert werden soll?

Wie solch unliebsamer Aufmerksamkeit Schranken gesetzt werden, kann aus dem Schriftverkehr herausgelesen werden:

Zunächst fahren Gewerberat und Regierungspräsident auf gleicher Schiene wie der Landrat und fordern Unterlagen und Nachweise. Nachhaltigen Eindruck muss allerdings dann ein kurzfristig anberaumter Besuch des Präsidenten des Landesfinanzamts Unterweser gemacht haben. In einem Brief, einen Tag später, fasst der Beamte der Regierung kurz und bündig zusammen, was er bei diesem Ortstermin auf dem Ölhof erklärt hat: Der Ölhof ist eine Anlage der Heeres- und Marineverwaltung, steht damit unter deren „besonderer, ausdrücklich erklärter Überwachung“. Die Mineralöl-Verkehrsordnung ist daher hier irrelevant. Die Marine ist ihre eigene Aufsichtsbehörde. „Ich bitte mir zu bestätigen, dass Sie mit diesen Feststellungen einverstanden sind“, so endet das Schreiben. Landrat und Co. sind ergebenst einverstanden. Fragen gibt es nirgendwo mehr. Landrat Otto von Schulenburg lässt ausrichten: „… versende ich ergebenst zur geflissentlichen Kenntnis und mit der Bitte um umgehende Mitteilung, dass ich dem Landesfinanzamt bestätigen kann, dass ich mit den Feststellungen einverstanden bin. Ich wäre dankbar, um eine umgehende Antwort“. Wer zum Ölhof das Sagen hat, ist klargestellt! Ende 1928 beginnt die Einlagerung von Öl in Bleckede.

 

Und dann der Sommer

 

Spätestens ab 1935 ist dann auch der „Sommer“ in Bleckede aktiv: Herr Sommer ist nicht irgendwer: Er ist Beamter bei der Marine, nennt sich Marinebaurat und ein Blick in die damaligen Einwohnerbücher zeigt: Horst Sommer hat sich um 1935 in Bleckede in der Dahlenburger Straße niedergelassen. Die Durchwahl 33, wie sie ehemals für das als „Waldhalle“ bezeichnete Baubüro geführt wurde, findet sich im Einwohnerbuch inzwischen unter dem Buchstaben „R“ wieder. Zwischen „Rehbein, Heinrich, Fährpächter, Zollstraße 26; Rehbein, Wilhelm, Schlosser, Breite Straße 30 und Reimer, Olga, Witwe, Lauenburger Straße 1“ erfährt der interessierte Leser: Unter der Durchwahl 33 ist die „Reichsbauamtszweigstelle“ zu erreichen.

 

Ausschnitt aus dem Einwohnerverzeichnis für den Stadt- und Landkreis Lüneburg 1932 Quelle: Archiv Landkreis Lüneburg.

 

Hier wird Marinebaurat Horst Sommer tätig und mit ihm wird alles noch mehr offiziell, geschäftig und dringend:

1935 ist ein Antragsschreiben des Marinebaurates aus dem Archiv des Landkreise Lüneburg geziert mit einem Stempel, der Adler und Anker vereint, Reich und Marine. Hier findet sich erstmals der Name „Ölhof“. Das Bleckeder Lager für Treibstoff, den die Marine jetzt in immer größerer Menge benötigt, gehört zur Marinewerft Wilhelmshaven und ist Teil der geplanten Aufrüstung für einen Krieg. Das heißt für den Ölhof Bleckede: Hightech der damaligen Zeit wird angewendet, um nach und nach eine Tankanlage mit einem Gesamtvolumen von 340.000 Tonnen entstehen zu lassen. Tarnung ist also wichtig und zu diesem Zweck bittet der nun zuständige Baurat Sommer den Landkreis um die Erlaubnis zur Aufforstung von Parzellen gegenüber dem Ölhof. Die Bäume werden gepflanzt.

 

Dienstsiegel im Ölhof Bleckede 1935 Quelle: Archiv Landkreis Lüneburg.

 

In Bleckede beginnen Karrieren: Sommers Nachfolger im Amt, Marinebaurat Edo Meiners, lässt zunächst in Bleckede Öltanks mit einem Volumen von ca. 120.000 Tonnen bauen. 1939 wird er nach Achim zur Marinebauabteilung Farge versetzt, wo unter seiner Leitung in einer mehreren Quadratkilometer großen Militäranlage ein weiteres Marinetanklager und das zweitgrößte Bunkergebäude im Dritten Reich errichtet wird, der U-Boot Bunker „Valentin“. Nach dem 2. Weltkrieg ist der Ex-Marinebaudirektor im Vorstand der „Tiefbau AG Unterweser“ tätig.

 

Marineoberbaurat Edo Meiners in der Uniform eines Generalleutnants Quelle: Verein Lagerstrasse, Denkort Valentin, Bremen.

 

Wie es so schnell so weit gekommen ist – Bleckede und die große, weite Welt

 

Das Treibstofflager in Bleckede ist Teil der Marinegeschichte. Die Reichsmarine – ab 1935 heißt sie „Kriegsmarine“ – ist aus der Kaiserlichen Marine hervorgegangen. Eigentlich waren ihre Aufgaben nach dem 1. Weltkrieg u.a. durch den Versailler Vertrag festgelegt auf Fischereischutz, Minenräumen, Seepolizei und Unterstützung der Handelsschifffahrt. Nachgewiesen ist, dass die Marine weit gehende Rüstungsprojekte verfolgte, finanziert z.B. durch Verkauf von Rüstungsgütern. Schon 1925 werden 2 U-Boote an die Türkei verkauft, konstruiert von einem geheimen, deutschen Büro in Den Haag. 1927 gerät der Kapitän zur See Lohmann in die Schlagzeilen wegen illegaler Rüstungsprojekte und der amtierende Reichswehrminister und der Chef der Marineleitung müssen ihren Hut nehmen.

 
Die Marine sei „frühzeitig bestrebt gewesen, mit unverwüstlichem Lebenswillen“ , die Keime für eine zukünftige, größere Entwicklung zu legen und so durch die Arbeit des Soldaten und Fachmannes die erste Vorbedingung für eine spätere Aufrüstung zu schaffen“ – so berichtet unverhohlen und mit einem gewissen Stolz Flottenintendant Thiele 1944 in einem Vortrag über „Die Entwicklung des Deutschen Marinehaushaltes von 1930 bis 1939“. Er erläutert in diesem – später vom internationalen Militär- Gerichtshof Nürnberg als Beweisdokument verwendeten – Dokument, wie und was von der Marine eigenständig und mit schwarzem Haushalt erreicht wurde.

 

„1925 begannen die Vorbereitungen für die Schaffung einer Schattenindustrie für den Ernstfall. Schon frühzeitig erfolgten auch die ersten Maßnahmen zur Umgehung der Bestimmungen des Versailler Vertrages. Die im Geheimen, d.h. ohne Mitwirkung einer gesetzlichen Einrichtung durchgeführten Maßnahmen auf dem Gebiete der geheimen Aufrüstung schienen im Jahre 1927 durch die Denunzierung der Lohman- Unternehmen stark gefährdet zu sein. Aber dank der Einsicht zahlreicher maßgebender Persönlichkeiten, konnten jedoch diese geheimen Rüstungsmaßnahmen, die bis dahin aus Geldmitteln außerhalb des Etats gespeist wurden, nunmehr mit Duldung der Reichsregierung, aber hinter dem Rücken der gesetzgebenden Körperschaften in gewissem Umfange in eine gesetzliche Basis insofern überführt werden, als über diese Geldmittel und ihre Verwendung zwar keine gesetzgebenden Körperschaften, wohl aber ein kleines Gremium maßgebender Persönlichkeiten der Reichsregierung entschieden“.
 
Auch das Öllager in Bleckede wird von Flottenintendant Thiele erwähnt. 1937 sei in den Haushalt die Herrichtung von Öltankanlagen eingestellt worden. Das betraf den Bau der Großlanlagen Flemhude und Nordholz sowie den „weiteren Ausbau der Öllager Achim und Bleckede“.
 
Die Arbeiten und Investitionen in Bleckede, die 1928 ihren Anfang nahmen, wurden also fast zehn Jahre lang ohne Rechnungsstellung im offiziellen Haushalt der Kriegsmarine durchgeführt.

 

Schulkinder am Kückendenkmal ca. 1930

 

Baustelle Bleckede – Fazit und Ausblick

 

Friedlich in der Landschaft liegend: Dieser Eindruck vom Ölhof in der Zeit zwischen den Weltkriegen trügt. Spätestens 1928, erst recht ab 1935/ 36 mit dem Zuzug von Marinebaurat Sommer ist von „friedlich“ keine Rede mehr. Der Ölhof in Bleckede war in der Zeit von 1936 bis 1945 eine der größten Baustellen im Landkreis Lüneburg. Eine Baustelle, auf der mehr als hundert Arbeiter pro Tag eingesetzt waren. Welche Firmen führten die Bauarbeiten durch? Woher kamen diese Leute? Über Dinge, die besser geheim bleiben sollten, gibt es natürlicherweise keine offiziellen Akten. Wie Henning Bendler und sein Team dennoch zu einer Antwort auf diese Fragen kam, erfahren sie in der nächsten Ausgabe der Werkstattberichte Ölhof.

 

-EP-Redaktion/lh-

 

Quelle: Elbmarsch-Post, Boizenburger Str. 3, Postfach 170, 21354 Bleckede

 

 

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