22.02.2006
Matrose Otto und das Fräulein aus Viehle
Werkstattbericht „Ölhof 2“
Bleckede. Weihnachten 1917 „Liebe Dora. Teile Dir mit, dass ich Deinen liebevollen Brief erhalten hab, kann aber Dein Verlangen nicht nachkommen, denn im letzten Augenblick Urlaub nach meiner Heimat bekommen hab, komme Donnerstag zurück, komme Neujahr rüber. Sei herzlich gegrüßt Otto. Brief folgt. Abs.: Matrose Bockenburg, Bleckede a/d Elbe.“ Matrosen in Bleckede? In der Tat, der Briefstempel der Weihnachtspostkarte macht es amtlich und den Gruß von Bleckede nach Viehle zur Feldpost: „Kaiserliche Marine, Zweigkompanie Bleckede“ ist dort zu lesen.
Matrosen: seit wann?
Matrosen: wozu?
Ein Schritt zurück
Die 1916/17 unter Hochdruck und im Schnellverfahren geführten Entscheidungen und Entwicklungen in der Anfangsphase des Ölhofes hatten sich des längeren schon angebahnt und hängen eng mit der Geschichte der Bleckeder Eisenbahn zusammen. 1913 führt die Bleckeder Kleinbahn seit 18 Jahren mitten durch den Ort. Auf der heutigen Breiten Straße teilen sich Bahn, Pferdewagen und Fußgänger den Platz zwischen den Häusern. Fuhrhalter Koop beschwert sich schriftlich gegen die laute, dreckige, Pferde scheu machende Bahn. Die Fuhrunternehmer waren schon von Berufs wegen keine Freunde der zunehmend als Konkurrenz auftretenden Bahn. In dieser Notiz wird erstmals die Idee geäußert, die Schmalspurbahn zwischen Lüneburg und Bleckede auf die zukunftsträchtigere Normalspur auszubauen – mit einem Bahnhof außerhalb des Ortes. Zwei Jahre später findet sich ein erster Kostenvoranschlag zur Umspurung und auch das Wort „Reichsmarine“ fällt bereits. Beim Stichwort „Umspurung“ trafen sich die Interessen des Reichsmarineamtes, das Bleckede als möglichen Standort ins Auge gefasst hatte, und die Interessen des Kreises Bleckede, der den Umbau allein nicht finanzieren konnte.
Umspurung – das entscheidende Kriterium
Das Reichsmarineamt lässt keinen Zweifel: Ohne Umbau der Kleinbahn Lüneburg-Bleckede zur normalspurigen Bahn, auf der die Ölbehälter nach Bleckede transportiert werden könnten, ist der Marine-Standort „Bleckede“ gestorben. Der Kreis Bleckede hat damit ein entscheidendes Argument in der Hand, finanzielle Hilfen und Materialzuweisungen für den wirtschaftlich notwendigen Umbau ihrer Bahn noch in Kriegszeiten bei der Provinz beantragen zu können. Der Umbau sei unter anderem auch „vom höheren Standpunkt der Reichsverteidigung wichtig und wünschenswert“, wie es in einer ausführlichen Denkschrift vom 30.8.1916 heißt. Und siehe: Der Plan geht auf. Im November 1916 teilt der Regierungspräsident mit, dass die Mittel für die Umspurung bereitgestellt werden – jedoch nur für die Strecke Lüneburg-Bleckede. Der Teil Bleckede-Dahlenburg bleibt Schmalspur und gerät als Eisenbahntransportweg über kurz und lang in Vergessenheit (und wurde 1922 abgebaut).
Wozu also Marine in Bleckede: Zunächst als Helfer für den Bahnumbau. Ob und was die Marinekompanie auf dem eigentlichen Gelände des Öllagers gebaut haben: Darüber scheint es heute keine Unterlagen zu geben.
Das Ende der Euphorie
Otto legt also los. Doch nein: Weil seine Kompanie bereits vor dem geplanten Baubeginn am 20.11. 1917 da vor Ort ist, müssen sie anderweitig beschäftigt werden, zusätzlich verzögert sich der Baubeginn weiter. Wer zahlt?
Kreis und das Wunstorfer Bauunternehmen Greiner und Hartung streiten sich „Zeit genug, zum Tanzvergnügen zu gehen, Fräuleins kennen zu lernen „. Auch im neuen Jahr häufen sich die Schwierigkeiten am Bau, das Plansoll wird auch im Folgenden in keinem Monat erfüllt. Aus Besprechungsprotokollen und Bauberichten wird deutlich: Material fehlt, die Arbeiter sind zu wenige, Pflichten werden hin und hergeschoben (ist die Verpflegung an der Baustelle Aufgabe von Kreisbahn, Marine oder Bauunternehmer?), im Juli liegen 50 Matrosen wegen Grippe im Lazarett, die Kiesgrube in Nindorf wird bald erschöpft sein. Kurz vor Kriegsende (Waffenstillstand am 11.11.1918) erhält die inzwischen gegründete Bleckeder Kleinbahn GmbH eine Staatsbeihilfe.
Die Matrosen jedoch haben augenscheinlich schon seit Längerem die Nase voll. Der Baubericht vom November 1918 hält fest: „Die Verzögerung in der Fertigstellung der Arbeiten ist auf folgende Umstände und Einflüsse zurückzuführen: 1.) Ungünstiges Bauwetter… 2.) Arbeitermangel… 3.) Geringe Arbeitsfähigkeit und geringe Arbeitslust der Matrosenkompagnie… 4.) Revolutionstage. Schon vor diesen Tagen ließen die Arbeitslust der Matrosen sehr zu wünschen übrig. Am 8.11. legten sie die Arbeit nieder, setzten ihren Kompagnieführer gefangen und bemächtigten sich der normalspurigen Lokomotiven, mit welchen sie auf der Strecke auf- und abfuhren. „Die Matrosen haben die Arbeit bis heute nicht wieder aufgenommen…“
Das ist das Ende des Kapitels „Matrosen in Bleckede“. Otto und Dora hatten wohl weniger als ein Jahr Gelegenheit, sich zu sehen.
Auch mit den neuen Leuten, vom Militär Entlassen oder Zivile, wird der Unternehmer nicht mehr Glück haben. Erst im Februar 1919 wird die Normalspurstrecke Lüneburg-Bleckede für den Betrieb geöffnet werden.
Ob Dora ihrem Otto und er ihr weiterhin geschrieben hat wer will es sagen. Ihre Spur verliert sich in der Geschichte.
-EP-Redaktion/lh-
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